Mythos Sozialisierung

Sozialisierung - der größte Fehler von allen!

Hunde müssen sozialisiert werden.  Daran besteht kein Zweifel.  Aber ist Sozialisierung wirklich das, was viele darunter verstehen?

 

Sozialisierung bedeutet, daß Hunde die Welt SEHEN und damit umzugehen lernen müssen.  Wir müssen ihnen die Fähigkeiten und Gewohnheiten beibringen, die für ein Teilhaben an der Gesellschaft erforderlich sind.

Leider wird Sozialisierung oft mißverstanden.  Sozialisierung ist nicht nur Interaktion und Spiel mit Artgenossen.  Dies ist nur ein winziges Stück, aber heutzutage scheint es das einzige Stück zu sein.

 

Was gehört also zur Sozialisierung von Welpen?  Hier sind ein paar Beispiele von Aktivitäten, mit denen man Welpen an die Welt gewöhnen kann und durch die sie zu angenehmen, selbstbewußten Zeitgenossen werden.

Sozialisierung bedeutet Vermittlung von Lebenskompetenzen.  Sozialisierung bedeutet, den/die Welpen an unterschiedliche Sachen, Eindrücke, Impulse, und Streß heranzuführen.  Sozialisierung bedeutet, dem Welpen alleine versuchen zu lassen das Problem zu lösen, da dies Selbstvertrauen und Mut zeugt, solange der Welpe weiß, sein Mensch steht hinter ihm/ihr, um bei Schwierigkeiten zu helfen.

Sozialisieren heißt, den Welpen nicht zu überfordern und ihn auch mal die Welt in den Armen des Menschen zu erkunden, wenn er überfordert und verängstigt ist.  Wenn dann der Mut kommt, fängt der Welpe an sich zu interessieren und den Eindruck selbst zu erfahren.  Der Welpe wird fragen, auf den Boden zurückgelassen zu werden, um seine eigenen Erfahrungen zu sammeln.

Diese ersten Erfahrungen sind ungemein wichtig.  Auch die Erfahrung, daß ihr Mensch immer da ist, um sie zu beschützen.  Wenn alles gut läuft, macht sie ganz jung keine schlechten Erfahrungen und entwickelt das Selbstbewußtsein dann später mit schlechten Erfahrungen selbstbewußt umgehen zu können.  Und dann sollte der Hund immer sicher sein können, daß sein Mensch hinter ihr steht.

 

Dinge, die der Welpe erfahren kann während der Zeit beim Züchter:

  • In einer Schubkarre herumgefahren werden.
  • Viele Arten von Bodenflächen/-belegen zu erfahren.
  • In ein Bällebad gesteckt zu werden
  • Auf der Nestschaukel schaukeln, spielen und schlafen
  • Auf dem Wobble-Board laufen
  • Auf Noppenkissen stehen
  • Über eine am Boden liegende Leiter klettern
  • Auf einer Rampe von der Terrasse in den Garten zu laufen
  • Sanfte Treppen laufen
  • Auf einer Rutsche in den Garten rutschen
  • An einem Fotoshooting teilnehmen
  • den Tierarzt zu besuchen
  • Beim Tierarzt Blut abgenommen bekommen
  • Beim Tierarzt gechippt werden
  • Beim Tierarzt geimpft werden
  • Mit den Tierärzten und den Arzthelferinnen schmusen
  • Handtücher oder Decken auf einen geworfen zu haben und selbst drunter hervorzukriechen
  • Täglich mehrfach auf den Arm genommen zu werden, geknuddelt und geküsst zu werden.
  • Tägliches Wiegen für die ersten 4 Wochen, dann 2-3x wöchentliches Wiegen.
  • Wöchentlich die Nägel geschnitten bekommen.
  • Gebürstet zu werden
  • Po, Kopf, Ohren, Brust geschoren bekommen.
  • In verschiedenen Boxen im Auto zu fahren.
  • Frauen, Männer, Kinder kennenzulernen.
  • Verschiedene Gerüche kennenlernen.
    • verschiedene Parfüms
    • Zigaretten
    • Pansen oder Blättermagen
    • und mehr
  • Verschiedene Geräusche kennenlernen:
    • Staubsauger
    • Fön
    • Dunstabzughaube
    • Musik
    • Fernseher - gerade US Krimis liefern vielzahlige Geräusche von Menschenstimmen hin zu Schüssen, Sirenen etc.
    • Schüsseln aus Metal, die auf den Boden fallen 
  • und mehr...

Dinge, die der Welpe in seiner neuen Familie erleben sollte:

  • Brücken, Straßen, Wege mit unterschiedlichem Belag.  Bei Brücken ist es ganz besonders wichtig, da diese teilweise Lücken haben, durch die der Hund die Straße unter sich sehen kann.
  • An den Strand fahren
  • In einen botanischen Garten gehen
  • In einen Baumarkt gehen und im Einkaufswagen fahren.
  • In eine Hundefachgeschäft, z.B. Freßnapf gehen
  • An einer stärker befahrenen Straße entlanggehen
  • Jogger und Fahrradfahrer kennenlernen
  • Andere Hunde sehen und auch mal treffen.
  • Spaziergänge mit Freunden, die auch Hunde haben.
  • Kinder auf einem Spielplatz beobachten
  • Andere Tiere sehen:  Schafe, Hühner, Enten, Pferde, Kühe, etc
  • Kuscheln während sie/er einen Knochen hat.
  • Jeden Tag einen etwas anderen Spaziergang machen.
  • Jeden Tag für unterschiedlich lange Zeiten in die Box packen
  • Lernen an Menschen vorbeizugehen und diese nicht immer begrüßen zu wollen.
  • Auf  Kommando zu pinkeln
  • Lernen schnell auf den Ruf des eigenen Namens zu kommen.  Beibringen, daß "Komm" heißt, so schnell wie möglich zu kommen und Frauchen/Herrchen zu "jagen".
  • Mit vertrauenswürdigen Hundefreunden spielen lassen.
  • Alle Arten von Teppichböden und andere Böden kennenlernen.
  • In einem Boot/Kajak sitzen.
  • Schwimmen lernen.
  • Einen Streichelzoo oder einen Zoo besuchen
  • Alle Arten von Treppen kennenlernen.
  • In einer Hängematte liegen mit und ohne die Menschen.
  • Auf einer Schaukel schaukeln zusammen mit dem Menschen.
  • Ball spielen
  • Auch mal in einem Hotel übernachten
  • Fahrstuhl fahren.
  • Durch automatische Türen gehen
  • Personen im Rollstuhl, an Krücken oder Rollator kennenlernen.
  • Autos, Fahrräder, Roller, Mopeds, Motorräder, etc kennenlernen.
  • Wilde Tiere kennenlernen, z.B. in einem Wildpark.
  • und vieles mehr...

MÜSSEN HUNDE MIT JEDEM HUND "SOZIALISIERT" SEIN?

Hundehalter bekommen oft, wenn sie für ihren Hund Kontakt mit fremden Hunden ablehnen, zu hören, dass ihr Hund "schlecht sozialisiert" wäre.

Es fallen Sätze wie: "Ach ist der unverträglich"? oder "Was haben Sie für einen aggressiven Hund"? Diese Sätze werden dann von tiefsinnigen, vielsagenden und immer vorwurfsvollen Blicken begleitet.

 

Solche Sätze sind gemein, denn sie sollen dem Gegenüber suggerieren, in der Erziehung des eigenen Hundes versagt zu haben. Das erzeugte Gefühl: man erfüllt nicht die Erwartung einen uneingeschränkt und in jeder Situation freundlichen Hund zu haben.

 

Manche Hundehalter fühlen sich dadurch so unter Druck gesetzt, dass sie lieber lügen. Sie schummeln dann indem sie sagen ihr Hund hätte Flöhe oder eine schlimme ansteckende Krankheit. Andere Hundehalter stürmen Hundeschulen in der Hoffnung einen mit jedem Hund verträglichen Hund zu bekommen. Durch diese Forderung nach dem ultimativ verträglichen Hund unterliegen sie anscheinend dem Druck, ihren Hund zwanghaft dahin erziehen zu müssen, dass er sich sofort freundlich und spielbereit gegenüber jeden anderen Hund verhalten und aggressives Verhalten anderer Hunde einfach ignorieren soll.

Das allgemeine "Totschlagargument" bei der Forderung zum "ich spiele mit allen Hund" ist, daß der Hund doch ein Rudeltier sei.

 

DAS STIMMT NICHT

Hunde sind zwar Rudeltiere aber auf Hundewiesen trifft sich kein "Rudel", sondern fremde Hunde. Sind es mehrere Hunde die sich kennen, spricht man von einer Meute, nur bei Hunden die aus einem Familienverband stammen ist der Begriff "Rudel" zulässig.

 

Wenn das Gegenüber mit diesem Argument kommt, dann empfiehlt sich ein mitleidiger, vielsagender, tiefer Blick und die kurze Anmerkung: "Sie verstehen aber nicht viel von Hunden, oder?"

 

MENSCHEN DIE MEINEN JEDER HUND "SPIELT" MIT ANDEREN HUNDEN HABEN UNRECHT

Hunde wissen nichts um die menschliche Definition von Sozialverträglichkeit. Sie sehen auch keinen Sinn dahinter mit fremden Hunden "spielen" zu müssen. Ganz unter uns - ist das bei Menschen anders? Welcher Mensch mag schon jedem anderen Menschen etwas zu tun haben? Hier haben wir also einen höheren moralischen Anspruch an unsere Hunde als an uns selbst. Unsere Hunde sollen das tun, was wir selbst niemals tun würden - mit jedem fremden Menschen, ganz ohne Kennenlernphase gut Freund sein.

 

HUNDEBEGEGNUGEN BRAUCHEN MANAGEMENT

Ein Hundehalter, der darauf hofft, dass der eigene Hund ohne jegliches Management und Führung durch seinen Menschen immer freundlich bleibt, nie in einen Konflikt gerät und uneingeschränkt hundespielwiesentauglich ist, hat eine realitätsfremde Erwartungshaltung an seinen Hund. Ausgeprägt ist dieses Verhalten meist bei Einzelhundehaltern. Sie meinen es gut aber die Folgen sind fatal.

 

Hundebegegnungen sind nur dann eine Bereicherung wenn die Vierbeiner Zeit haben einander kennen zu lernen und auch entscheiden dürfen welchen Hund sie mögen und welchen nicht.

 

Bevor man sich in Hundebegegnungen stürzt sollte man 2 Dinge tun: Ein sicheres Abbruchkommando trainieren und sich einen realistischen Blick für die Bedürfnisse und Vorlieben des eigenen Hund aneignen.

 

DER TUT-NIX

Wenn ein Hund in Lauerhaltung flach am Boden liegt und einen anderen Hund fixiert, dann ist das keine Spielaufforderung. Wenn ein Vierbeiner wie ein D-Zug in eine Gruppe von Hunden kracht ist das keine freundliche Handlung und jeder vernünftige Hund wird das umgehend sanktionieren. Wenn ein Rüde eine Hündin bedrängt, ist das nicht "lieb" und jede anständige Hundedame wird dem Hundemann zeigen wo der Bartl den Most holt.

 

Hundehalter die ihre Hunde so agieren lassen sind ausgesprochen unbeliebt. Sie zeigen, daß ihr Hundewissen bei Null liegt und sie gefährden andere Hunde, möglicherweise auch fremde Menschen. Es soll schon Schlägereien deswegen gegeben haben, nicht zwischen den Hunden sondern zwischen Zweibeinern.

Dem Tut-nix tut es ebenfalls selten gut. Entweder wird er von einem größeren Hund verhauen oder er macht eine unliebsame Begegnung mit einem Zweibeiner der seinen Hund beschützen will. In jedem Fall wird es eine unerfreuliche Erfahrung sein, die das Verhalten des Hundes negativ prägen kann.

 

SOZIALVERTRÄGLICHKEIT

Sozialverträgliche Hunde nähern sich langsam und respektvoll, sie laufen Bögen, sie geben anderen Hunden Raum und ziehen sich zurück wenn sie merken, dass der andere Vierbeiner keinen Kontakt wünscht.

 

Sie sind weder aufdringlich noch überdreht. Wer solches Verhalten seines Hundes zulässt, ist auch als Hundebesitzer alles andere als „sozialverträglich“. Die Sozialverträglichkeit des eigenen Hundes beginnt beim Besitzer und zwar mit der Einstellung niemanden belästigen zu wollen, sie bedeutet Neutralität des Hundes gegenüber seiner Umwelt und sie bedeutet Kommunikation unter Hundehaltern.

 

VERTRÄGLICHKEIT KANN MAN NICHT ANERZIEHEN

Man kann die Einstellung seines Hundes zu anderen Hunden nicht mit Erziehung verändern. Man kann ihm nicht anerziehen jeden fremden Hund zu mögen. Man kann niemals Charakter durch Ausbildung verändern.

 

Was man kann, das ist einen Hund zum Gehorsam zu erziehen, so dass man Hundebegegnungen moderieren und eventuell auch abbrechen oder ganz vermeiden kann.

 

Ein sozialverträglicher Hund ist ein Hund der Konflikten aus dem Weg geht, sie vermeiden kann. Keinesfalls aber ein Hund der mit allen anderen Hunden Kontakt sucht.

 

Auch ein Hund hat das Recht andere Hunde nicht zu mögen. Er hat das Recht auf seine Individualdistanz. Das macht ihn nicht zu einem "schlechten Hund", ganz im Gegenteil.

 

ALLE HUNDE SPIELEN

Das ist ein menschliches Konzept, eine Vorstellung die vorwiegend bei wenig hundeerfahrenen Menschen zu finden ist. Hunde "spielen" selten, meist "trainieren" sie. Wenn eine Meute einen kleinen Hund hetzt, dann ist das nicht ein Fitlauf sondern Jagdverhalten.

 

Was Hunde gerne tun ist, dass sie mit anderen Hunden kooperieren, das impliziert aber dass der Mensch dabei mitmacht. Hundehalter die tief in ihrem mobilen Telefon versunken sind oder tratschen, die sind keine Kooperationspartner sondern Menschen die ihren Hund "abgeben", ihn sich selbst überlassen. Wenn es dann kracht, dann fallen diese Menschen aus allen Wolken und machen meist alle anderen aber nie sich selbst dafür verantwortlich.